Die Grünkohlsaga
Göttliche Eingebung: Der Mythologie nach haben wir den Kohl den Göttern des Olymps zu verdanken: Der Gott Dionysos fühlte sich von Prinz Lykurgos verkohlt und ließ ihn zerreißen. Aus den Tränen des armen Lykurgos sprossen die ersten Kohlpflanzen. Die Geschichte hat einen wahren Hintergrund: schon 400 vor Christus wurde ein krausblättriger Blattkohl beschrieben, der später bei den Römern als Sabellinischer Kohl bezeichnet wurde. Dieser Kohl ist wohl der Vorläufer des heutigen Grünkohls.
Kohlce Vita oder doch eher kühler Norden?
Ist er wirklich vom Mittelmeer in die norddeutschen Gefilde gelangt? Oder kommt er aus Kohlumbien, gar aus Kohlorado? Wissenschaftler sind überzeugt, dass der Grünkohl vom Meerkohl abstammt, einer Wildform unseres kultivierten Kohls, der in den nördlichen Küstenregionen von Dänemark bis hin zum Atlantik zu Hause ist.
Typische Anbaugebiete für Grünkohl sind heute Mittel- und Westeuropa, aber auch Ost- und Westafrika. Grünkohl gibt es sogar in Nordamerika.
Tatsache ist, dass er einen kohlmetenhaften Aufstieg hinter sich hat, unser Grünkohl, und seitdem aus der Top Ten der Wintergemüse nicht mehr wegzudenken ist.
Kohlturschock
Für die Oldenburger kommt der Grünkohl aus Oldenburg. Ende der Diskussion. Erstmals schriftlich belegt jedenfalls ist ein Grünkohl-Mahl im 16. Jahrhundert. Allerdings hat es dem damaligen Gast, dem Rechtsgelehrten Justus Lipsius aus Brüssel, 1586 offenbar nicht geschmeckt. Er schimpft die Oldenburger Barbaren und sorgt sich wegen der fetten Speisen um seinen Magen. Aber wer gibt schon etwas auf das Urteil von Juristen, denken Sie sich wohl?! Der Oldenburgsche Superintendent ließ sich nicht verkohlen, wärmte die Diskussion fünf (!) Jahre später wieder auf und erwiderte: „Es ist eine recht ordentliche Stadt, und es ist wohlfeil, darin zu leben, dass man sich für einen Groten satt essen und trinken kann.
Familienkohlik
Kohlunity: Von edler Herkunft, hat unser Grünkohl natürlich auch einen lateinischen Namen. Er nennt sich ganz kohlkett: „Brassica oleracea“ (Aussprache auf eigene Gefahr, für Halsentzündungen übernimmt die Grünkohl-Akademie Oldenburg keine Haftung).
Unser Grünkohl gehört zur Familie der Kreuzblütengewächse, zu der auch Enkel Kohlrabi, Vetter Rettich, Tante Radieschen und Opa Raps zählen. Mit einem seiner Verwandten arbeitet Grünkohl sogar zusammen: mit Onkel Senf, der beim Grünkohlessen für die Steigerung der fleischlichen Lust zuständig ist. Insgesamt hat unser Kohl rund 4000 Verwandte. Zu viele für ein reales Familientreffen. Um zumindest virtuell in Kontakt zu bleiben, gibt es zum Glück Facebook mit seiner großen Kohlunity.
Querbeet
Grünkohl wächst schnell, ist genügsam und gedeiht auf magerem Boden – typisch norddeutsches Understatement. Wie bei allen Kohlarten – außer bei Blumenkohl und Broccoli – werden im zweiten Jahr Blüten gebildet. Dabei werden große Blütenstände mit vielen gelben Blüten ausgetrieben. Nach der Befruchtung (die Geschichte mit den Bienchen) entstehen Schoten mit vielen Samen.
Jungpflanzen können ab Mai im Frühbeet gezogen werden. Der Boden sollte gut vorbereitet und sein pH-Wert neutral sein. Dazu vorher einfach Kompost und Hornspäne (Abfallprodukt der Rinder-Pediküre) darüber streuen. Sollte der Grünkohl im späteren Jahr Mangelerscheinungen zeigen (etwa durch die Gelbfärbung der Blätter), ist eine entsprechende Nachdüngung erforderlich, dann fühlt er sich wieder saukohl. Jungpflanzen werden in einem Abstand von 40 mal 80 cm gesetzt.
Der Kohl säu… (pardon, trinkt) wie ein Loch – natürlich nur Wasser. Deckt man den Boden zwischen den Pflanzen mit Mulch ab (wie Grasschnitt, Beinwell, Brennessel), verzögert dies die Verdunstung und erspart den einen oder anderen Gießgang. Aber solche faulen Tricks haben Sie doch nicht nötig, liebe Studierende, oder?
Wenn Sie, liebe Studierende, alles richtig gemacht haben, entwickelt sich im ersten Jahr eine dicht beblätterte Sprossachse, die je nach Sorte und Erntetermin eine schwindelerregende Höhe von bis zu einem Meter erreichen kann. Bis dahin schleicht der Gärtner ungeduldig um ihn herum, päppelt und düngt ihn.
Ganz Neumodische stopfen unseren Grünkohl dazu einfach in die Tiefkühltruhe, das hat denselben Effekt. Böse Zungen gehen auf Kohlfrontationskurs und behaupten, das Bittere sei aus den neuen Sorten weggezüchtet worden. Doch diese Diskussion macht den Kohl auch nicht fett: Tatsache ist, Grünkohl ist ein Wintergemüse und will im Winter geerntet werden, von Ende Oktober bis Februar. Und da ist es kalt, meistens jedenfalls.
Psychokohlgie
Der Kohl ist ein ausgeglichenes, robustes Gemüse, aber vor einigen seiner Feinde gruselt er sich richtig. Diese Ängste haben Regisseure zu Werken wie „Die weiße Fliege“ oder „Wenn der Kohlweißling zweimal klingelt“ inspiriert. Hitchkohlk ist der beliebteste unter ihnen.
Eine Grünkohl-Krankheit ist die Kohlhernie. Sie kann eine Ernte sofort vernichten und die betroffene Fläche für Jahre für den Kohlanbau unfruchtbar machen. Um sich von dieser Bedrohung abzulenken, schaut der Grünkohl auch gern mal Romantisches wie „Kohlsablanca“ oder „Kohltanic“. Positive Gefühle stärken bekanntlich die Immunabwehr.
Ökohlnomie und Ökohlogie
Kohlmerziell gesehen
Weltweit hat der Grünkohl wirtschaftlich nur geringe Bedeutung (was nichts über seinen kohlinarischen Status sagt). In Deutschland werden pro Jahr rund 1000 Hektar Grünkohl angebaut. Davon standen im Jahr 2010 laut Statistik 407 Hektar in Niedersachsen.
Vermarktung und Verzehr erfolgen fast ausschließlich im Winter von Ende September bis Februar. Der Absatz auf den Märkten findet zu 70 Prozent im Dezember statt. Tiefkühl-Grünkohl wird immer beliebter – wie sonst sollen die Kohlonien außerhalb Oldenburgs an die begehrte Ware kommen?
Kohlboy und Indianer
Wer kennt ihn nicht, den edlen und tugendhaften (also sozusagen deutschen) Indianerhäuptling Winnetou? Nach ihm ist ein Grünkohlsaatengut benannt. Ein Zufall? Nein, denn wie der Apatschenchef zeichnet sich diese Sorte durch ein nobles Erscheinungsbild, durch Standfestigkeit und Widerstandsfähigkeit aus. Mit 80 cm Höhe lässt sie sich auch bei tiefem Schnee ernten (vgl. dazu Winnetou IV „weißglänzender Schnee…“). Von Karl May wissen wir, dass „Winnetou“ so viel wie „Brennendes Wasser“ (vulgo: Korn) heißt. Und dieses spielt bei Grünkohlfahrten eine nicht zu unterschätzende Rolle, wie Sie, liebe Studierende, wissen. (Nach: Michael P. Hopp, „Oldenburger Grünkohl-Brevier“, Oldenburg 2010.)